Montag, 7. August 2017

Stelleninserate decodieren - Was steht zwischen den Zeilen?

In einer zunehmend dynamischeren Wirtschaft (hire & fire je nach Cash Flow) wird ein Skill für Arbeitnehmende immer wichtiger: Stellensuche. Wir alle hassen es, unsere Zeit dafür einzusetzen. Der Frust ist gross, wenn wir dann erst am Vorstellungsgespräch merken, dass es nicht passt. Den heutigen Post widme ich der klugen Vorselektion durch Decodierung der Stelleninserate.

Die Arbeitgeber möchten möglichst viele Skills und viel Leistung für möglichst wenig Geld. Die Arbeitnehmenden möchten möglichst viel Geld für möglichst stressfreie, interessante Arbeit. Früher, so vor zwanzig, dreissig Jahren, bevor die Frauen die Arbeitswelt nachhaltig stürmten, bevor billige ausländische Arbeitskräfte die Schweiz überfluteten und bevor die Globalisierung und Marktöffnung dazu führte, dass Inder und Osteuropäer unsere Jobs machten, DAMALS muss die Schweiz für Arbeitnehmende das Paradies gewesen sein.

Aber genug der Nostalgie. Was früher "Jobhopping" genannt wurde, ist heute die Kehrseite der Medaille der hohen, durch Reorganisationen sprich den Arbeitgeber induzierten Fluktuation. Man hat meist gar keine Wahl, als alle paar Jahre zu wechseln. Nur schon, um sich zu entwickeln, denn Mitarbeiterförderung und -entwicklung ist nicht mehr en vogue.

Ob man nun mit Headhuntern zusammenarbeitet oder selber Bewerbungen schreibt, man sollte die Anforderungen schon ganz zu Beginn genau prüfen.

Analyse eines Stelleninserats - Beispiel


Anhand folgenden Beispiels einer Digital Marketing Agentur illustriere ich die Diskrepanz zwischen Inserate-Text und eigentlicher Aussage.

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1: Der Job-Titel


Marketing ist etwas anderes, als (Unternehmens-)
Kommunikation. Der eine "Manager" vermarktet ein Angebot, der andere ist für die Marke, PR und allenfalls Investor Relations zuständig. Wenn man aus irgendeinem Grund beides in eine Rolle packt, bleibt zwangsläufig eins von beidem auf der Strecke. Mühsam, wenn man sich dann dafür rechtfertigen muss. Wenn man sich weiter unten dann noch reinzieht, was diese eierlegende Wollmilchsau sonst noch alles für Zuständigkeiten hat, wirkt das 80% Pensum wie reiner Hohn.

Die 80% sind hier entweder als Hinweis auf ein knappes Budget zu verstehen, oder ein Trick, um die Reichweite des Inserats / die Bewerberzahl zu erhöhen.

2: Stratege und Umsetzer


Mit der Formulierung "Strategischer Sparringpartner" wird angedeutet, dass die Geschäftsleitung die (Marketing- und Kommunikations-)Strategie vorgibt, jedoch von dieser Rolle gechallenged werden möchte. Gewichtiger ist hier aber das Wort "Umsetzer" sowie der ziemlich krasse Hinweis, dass die Person die "Marketing Agenda" gegenüber Management, Consulting und - oh weh - Fachspezialisten vertreten werden muss.

Heisst, die Strategie kann sie kaum beeinflussen, für die Umsetzung ist sie weitgehend alleine zuständig aber es werden ihr so gut wie alle reinreden. Mit Eigenverantwortung und Gestaltungsmöglichkeit (siehe Nr. 8) hat das nichts zu tun.

3: Die Aufgaben von fünf verschiedenen Rollen in einer




Rolle 1 - Employer Branding. Das ist etwas, das Grossfirmen betreiben. Dort ist in der Regel ein Gremium von HR- und Kommunikationsleuten gemeinsam zuständig. Ein KMU (wie dieses mit 45 Angestellten), betreibt normalerweise kein systematisches Employer Branding. Wahrscheinlich haben sie dermassen Mühe, Fachkräfte zu finden, oder bereits einen so beschissenen Ruf, dass sie sich systematisch anstrengen müssen.

Rolle 2 - Event Manager. Traurig, aber offenbar wahr - hier ist der Marketingmensch auch fürs Ausrichten von Apéros und Firmenfeiern zuständig. Da Employer Branding auch zu seinen/ihren Tasks gehört, kommen wohl auch die Organisation von Graduates-Auftritten an Unis und externe Fachvorträge dazu. Definitiv nichts, womit sich ein Marketing- oder Kommunikationsspezialist normalerweise beschäftigt.

Rolle 3 - Marketeer. Immerhin, Marketing Aufgaben wie E-Mail Marketing (Newsletters), Content Marketing (Blog) und Social Media gehören doch auch noch zum Profil. Von klassischen Marketingmassnahmen (Print) wird hier allerdings nichts geschrieben. Auch ein Hinweis auf knappes Budget.

Rolle 4 - Networker. Dieses eine Wörtchen würde mich doch eher stutzig machen. Networking gehört eigentlich zu den Aufgaben der GL oder der Sales, weniger zum Marketing. So deplatziert dieses Wort hier in der Gegend rumsteht, steckt bestimmt etwas Unerfreuliches dahinter. Jemand wollte dieses Wort unbedingt noch drin haben. Es war ihm / ihr verdammt wichtig. Möglicherweise war der bisherige Stelleninhaber ein schlechter Netzwerker oder Eigenbrötler.

Rolle 5 - Kommunikations / PR Verantwortlicher.


5: Zwei Jahre Erfahrung genügen


Wenn wir zusammen zählen, kommen wir auf fünf Tätigkeitsprofile in einer (80%) Rolle. Jedenfalls, wenn wir die Funktionsprofile von Grossfirmen als Massstab nehmen. Bei KMUs ist es ja normal, Profile zu kombinieren. Jedenfalls bei den Rollen, die "nur kosten" und keine verrechenbaren Leistungen generieren.

Krass ist dann, zu lesen, dass der erfolgreiche Kandidat nebst einem Studienabschluss lediglich zwei bis drei Jahre Erfahrung mitbringen muss. Man muss sich das mal vorstellen - da kommt die Person von der Uni und schafft es in 24 Monaten, zu lernen, wie man Events organisiert, wie Marketing Automation funktioniert, wie man ansprechende Newsletters gestaltet und versendet, wie man Social Media Marketing betreibt (womöglich auf 6 oder 7 Kanälen parallel), wie Digital Advertising sprich Google AdWords funktionieren, wie man Employer Branding macht, wie man eine Pressemitteilung textet, wie man den Verkauf (und das Consulting?) unterstützt und auch, wie man netzwerkt. Ahja, und man ist dann mit schätzungsweise 25 auch strategischer Sparringpartner der Geschäftsleitung. Klingt für mich recht unrealistisch.

Ist es auch. Was mit "2-3 Jahre Erfahrung" vielmehr gesagt werden will: Wir können dir kein marktübliches Gehalt zahlen. Wir erwarten, dass du das Wissen und die Persönlichkeit eines mittleren Kadermitarbeiters mitbringst, zahlen dir aber nur einen Uni-Abgänger Lohn.

6: Wo der Hund des Vorgängers begraben liegt


In vielen Inserate-Texten werden die Mankos der / des Vorgängers augenscheinlich. Aufgrund des hohen Mitspracherechts der Kollegen und der GL (siehe oben) müsste diese Person vor allem ausgeglichen, belastbar und geduldig sein. Stattdessen steht da "präsentationssicher und argumentationsstark". Mit einer guten Präsentation und starken Argumenten hat man offenbar in diesem KMU mehr zu gewinnen, als mit Sozialkompetenz. Jedenfalls wenn man dem Text glaubt.


Ergebnisorientiert, Eigeninitiative und Organisationstalent deuten darauf hin, dass wer immer diese Rolle vorher wahrgenommen hat, als dies missen liess. Vermutlich jemand, der sich im "Sparringpartnersein", "Schnittstellenabgleich" oder "Networking" verloren hat und vergass, dass er auch noch alles selber umsetzen müsste.

7: Die Standard-Floskeln aka die blanke Lüge


Erfinder von Nonsens und Lügen
In fast jedem Stelleninserat erscheint mindestens ein Standard-Absatz. Diese Floskeln wiederholen sich wie das Logo in jedem Job-Ad der Firma. Kolportiert werden soll die so genannte FIRMENKULTUR. Man soll hier noch etwas vom Spirit der Firma spüren und sich irgendwie angesprochen fühlen. Der Inhalt ist barer Nonsens.

Flache Hierarchien sind kein Garant für zeitnahe, verbindliche Entscheidungen. Im Gegenteil. Flache Hierarchien hat diese Firma hier bestimmt, da ganz offensichtlich alle bei Marketing, Kommunikation, Events und Employer Branding mitreden dürfen und sollen. Je mehr Köche, desto beschissener der Brei (und desto mühsamer die Umsetzung). Die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Rolle tendieren eher gegen null.

Nach der obigen Analyse ist klar, dass diese Rolle höchstwahrscheinlich null "systematischen Entwicklungsmöglichkeiten", null Eigenverantwortung und null Gestaltungsmöglichkeit haben wird. Wer so irre ist, sich hier zu bewerben, kann ja mündlich erfragen, wie die Entwicklungsmöglichkeiten genau aussehen - und ab der Antwort laut lachen! :-) Stabsstellen in KMUs haben nie systematische Entwicklungsmöglichkeiten. Und dies hier ist eine Stabsstelle.

8: Sehr gute Sozialleistungen


Als Unternehmer würde ich so etwas niemals in ein Stelleninserat schreiben. Wenn schon, formuliert man das aus. Fünf Wochen Ferien sind in der Schweiz eher der Standard, da das gesetzliche Minimum bereits vier Wochen beträgt. Büroangestellte erwarten heute einfach fünf Wochen Ferien. Dann Vaterschaftsurlaub erwähnen, ohne zu sagen, wie lange der genau wäre... lächerlich.

9: Wir sind lustig und besaufen uns gern



Für mich gehört die Erwähnung einer Bier-Zapfanlage und einer Whisky-Bar unter keinen Umständen in ein Stelleninserat. Auch beim Wort "Firmenreise" läuten schrille Alarmglocken. Wer bei diesem Betrieb einsteigt, gibt sein Privatleben ab.

Was im Stelleninserat fehlt


Echte Entwicklungsmöglichkeiten / Förderung

Wenn ich Stelleninserate lese, hoffe ich immer, irgendwo einen Hinweis darauf zu finden, dass die Firma auch mich weiterbringen möchte, nicht nur ich sie. Mich dünkt, früher war das eher der Fall. Man ging davon aus, dass ein Arbeitsverhältnis ein Geben und Nehmen war. Heute scheint der Markt mit Arbeitnehmenden gesättigt und es ist nur noch ein Nehmen seitens Arbeitgeber.


Teamwork & Unterstützung


Zwar steht "mithilfe interner Unterstützung und externen Partnern", jedoch fehlt im ganzen nachgehenden Text eine Erwähnung dieser internen oder externen Unterstützung. Stattdessen werden nur andere Gremien und Rollen erwähnt, die auf diese hier Einfluss nehmen dürfen. Implizit heisst das, diese Rolle hat kaum echte Unterstützung und lässt sich exakt sagen, was sie wie und wann zu tun hat. Da das Budget allem Anschein nach sehr limitiert ist, wird sich wohl auch die externe Unterstützung im Rahmen halten. Ein Einzelkämpfer also, der rein gar nichts zu melden hat.


Echte Benefits

Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice (!), Vergütung ans ÖV-Abo, Finanzierung von Weiterbildungen, Regelmässige Besuche an Fachmessen- und Vorträgen, Reka-Schecks, Möglichkeit, zusätzliche Ferientage einzukaufen oder unbezahlten Urlaub zu nehmen - all das wären echte Benefits für junge Erwachsene. Stattdessen scheint sich alles um das Bürogebäude zu drehen, sprich um die Firma selbst. Auch hier.


Wer sich hier bewerben sollte (wenn überhaupt)



  • Jemand, der direkt von der Uni kommt und noch gar keine Berufserfahrung vorzuweisen hat. In dieser Stelle lernt so jemand in "no time", wie man Anlässe durchführt, Newsletters verschickt, PR Meldungen textet, Employer Branding und Social Media Marketing macht und vermutlich kann man als wissbegieriger junger Mensch auch von den Consultants und Fachspezialisten profitieren. Nach zwei Jahren solltest du aber wieder gehen und irgendwo hin wechseln, wo du dich wirklich entwickeln kannst.

  • Jemand, der keine Freunde hat, z.B. neu in die Schweiz kommt. In dieser Firma wirst du sicher Freunde finden, vorausgesetzt, du gehst an all die Apéros, Firmenreislis und Events. Ob du deinen Job gut machst, ist für dich dann eher zweitrangig.

  • Jemand, dem es grundsätzlich am Allerwertesten vorbeigeht, wenn er IMMER jemanden in der Firma enttäuscht. Weil, mit so vielen, so umfangreichen und komplexen Aufgaben lässt sich das einfach nicht vermeiden.

  • Jemand, der sich niemals aufregt und der über allem steht. Wobei, dann solltest du Polizist/in werden, die verdienen besser, haben bessere Sozialleistungen und echte Entwicklungsmöglichkeiten. :)

Wenn du nicht sicher bist, nutze das Telefon-Screening



Ein von Rekrutierern gern genutztes Instrument ist heutzutage das Telefon-Screening. Die wenigstens HR-Leute haben Lust auf überflüssige Interviews, darum vereinbaren sie zunächst ein Telefonat. Darin klären sie u.a. die Verfügbarkeit des Kandidaten und seine Gehaltsvorstellungen ab. Dieses Telefonat solltest du aber deinerseits auch nutzen, um Unklarheiten zu beseitigen. Beim obigen Inserat würde ich persönlich ganz klar fragen, wo der Schwerpunkt der Aufgaben liegt. Oder ob Homeoffice möglich ist. Alles, was dir sehr wichtig ist in deiner nächsten Stelle, solltest du bereits im Telefonscreening ansprechen. Ansonsten verschwendest du nur deine Zeit, schlimmstenfalls die nächsten zwei Jahre!

Übrigens, wer Mühe hat, Stelleninserate wie dieses hier zu decodieren, der kann auch auf kununu nachlesen, wie andere diesen Arbeitgeber bewertet haben. Oft sind die Feedbacks ein wenig zu barsch - man hinterlässt eher negative Feedbacks als positive - aber auch sehr ehrlich.

Demnächst werde ich einen Blog Post zum Thema Selbständigkeit verfassen. Ich glaube, in der Schweiz sollten sich mehr Leute selbständig machen. Vor allem, weil wir als Angestellte sonst am leidenden Ende der Globalisierung stehen.

Bis bald und danke fürs Lesen! :-)

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